· 

Adrians Minecraft Weihnachtsüberraschung

Ursprünglich entstand diese Geschichte als Beitrag zu einem englischsprachigen Kurzgeschichten-Wettbewerb in einer Autorengruppe.

Den Wettbewerb habe ich mit dieser Geschichte nicht gewonnen, aber etwas anderes ist geschehen, was mir noch viel wertvoller ist als ein Preis bei einem Wettbewerb es je sein könnte.

Eine Leserin kontaktierte mich auf Facebook und bedankte sich für diese Geschichte.

Sie erzählte mir, dass ihr durch diese Geschichte bewusst geworden wäre, dass sie im Umgang mit ihrem Kind etwas besser machen kann. Sie hat sich sofort hingesetzt und mit ihrem Kind darüber gesprochen. Sie sagte ihm, dass es für sie schwer sein würde, ihr Verhalten zu ändern und dass das Kind ihr dabei helfen könne. Ihr Kind war sehr stolz, dass es seiner Mama helfen durfte, erwachsen zu werden.

Dann haben sie die Geschichte noch einmal gemeinsam gelesen.

Es hat mich zutiefst gerührt, dass eine kleine Weihnachtsgeschichte solch überwältigende Auswirkungen haben kann. Wer weiß, vielleicht hilft sie noch anderen? Ich habe sie auf deutsch übersetzt und verschenke sie hier mit einem herzlichen Weihnachtsgruß!

 

Leise und auf Zehenspitzen schlich Adrian die Treppe runter. Immer wieder hielt er inne und lauschte auf ein Geräusch, aber alles blieb still. Er tastete sich durch den dunklen Flur und öffnete behutsam die Bürotür. Der Raum war in ein schwaches, bläuliches Licht getaucht, das vom Computer kam. Gut. Papa hatte den Computer angelassen, wie immer. Adrian konnte sich einen erleichterten Seufzer nicht verkneifen. Er setzte sich an den PC, ohne das Licht einzuschalten. Nichts durfte ihn verraten. Schnell rief er Minecraft auf und loggte sich in seine Welt ein. Er prüfte seine Geheimverstecke. Alles noch da!

 

„Ja!“ rief er leise und hielt sich gleich darauf den Mund zu. Seine Eltern durften ihn auf keinen Fall hören, sonst war er geliefert! Unbändige Freude durchflutete ihn plötzlich. Jetzt war es endlich soweit! Er hatte lange auf diesen Moment hingearbeitet.

 

„Das ist doch jetzt nicht dein Ernst!“ Mama stand plötzlich im Türrahmen, knipste das Licht an und funkelte ihn wütend an. Adrian erstarrte, während seine Finger noch über der Computertastatur schwebten.

 

“Es ist halb drei morgens! Was um alles in der Welt tust du hier?”

 

Adrian blinzelte, geblendet von dem plötzlichen Licht. Seine Augen wanderten sehnsüchtig zurück zum Bildschirm.

 

“Nur ein paar Minuten, Mama, okay? Bitte!“ bettelte er, obwohl er wusste, dass es sinnlos war. Sie packte ihn am Arm und zog ihn vom Stuhl hoch.

 

“Vergiss es! Du gehst augenblicklich ins Bett und wage es ja nicht, bis nach Weihnachten auch nur nach dem Computer zu fragen!“

 

“Aber Mama, ich wollte doch nur…”

 

“Es ist mir völlig egal, was du wolltest! Du kennst die Regeln und sich hier mitten in der Nacht runter zu schleichen um Minecraft zu spielen geht GAR NICHT!” unterbrach ihn seine Mutter wütend und schob ihn zur Tür. Adrian warf einen letzten frustrierten Blick auf den Bildschirm und schlich mit hängendem Kopf zurück in sein Zimmer.

 

Er lag im Dunkeln in seinem Bett, seine Lippen fest zusammen gepresst. So ein Mist. Wie hatte sie ihn nur gehört? Er war doch so leise gewesen! Seit Wochen hatte er alles vorbereitet. Er hatte Items gesammelt – wirklich coole, seltene Items! – und hatte sie sorgfältig versteckt, damit seine Freunde ihn nicht ausplündern konnten. Es war richtig viel Arbeit gewesen! Aber er hatte es geschafft, keiner seiner Freunde hatte etwas bemerkt. Und jetzt hatte ihm seine Mutter alles vermasselt. Er kniff die Augen zusammen und eine einzelne Träne rollte bis zu seinem Ohr. Es war nicht fair. Sie hatte ihm noch nicht einmal zugehört!

 

Gut, wenn sie ihm seine schönste Weihnachtsüberraschung verdarb, dann wollte er überhaupt keine mehr. Er drehte sich auf die Seite und zog sich die Bettdecke über den Kopf.

 

 

 

* * *

 

Mama sah auf die Uhr.

 

„Also ich denke, jetzt hat er wirklich lange genug geschlafen“, sagte sie zu Papa. „Ich gehe ihn wecken. Auch wenn er Mist gebaut hat, es ist schließlich Heiligabend.“

 

„Naja, aber ich werde schon noch ein Wörtchen mit ihm reden“, erwiderte Papa. Mama nickte nur und ging dann nach oben in Adrians Zimmer. Er schien wirklich noch tief und fest zu schlafen.

 

“Adrian?” Sie rüttelte sanft an seiner Schulter. “Adrian, aufwachen!”

 

“Nein”, drang seine gedämpfte Antwort unter der Bettdecke hervor. Mama stutzte.

 

“Du willst nicht aufwachen? Es ist Heiligabend, erinnerst du dich? Du willst doch sicher den Baum schmücken.”

 

“Nein”, wiederholte Adrian mit erstickter Stimme. Ein Teil von ihm wollte zwar wirklich gleich aufspringen und damit anfangen, den Weihnachtsbaum zu schmücken. Aber der andere Teil von ihm wusste, dass ihm das diesmal keine Freude bereiten würde. Seine Freude war irgendwie mitsamt seiner Überraschung kaputt gegangen.

 

Mama saß einen Moment unschlüssig an seinem Bett.

 

„Musst du jetzt wirklich ausgerechnet heute so bockig sein?“ fragte sie enttäuscht und stand auf. Als Adrian ihr keine Antwort gab, verließ sie das Zimmer. Es machte Adrian noch trauriger. Lange lag er allein in seinem Bett, starrte die Wand an und fühlte sich elend. Sollte er doch lieber nach unten gehen? Es war schrecklich, hier allein zu liegen. Er stand auf, zog sich an und trottete langsam die Treppe hinunter. Mama war in der Küche mit Vorbereitungen beschäftigt und bemerkte ihn nicht. Adrian ging ins Wohnzimmer und stellte mit einem Schrecken fest, dass der Baum schon fertig geschmückt war. Papa saß auf dem Sofa und las. Als Adrian im Türrahmen erschien, legte Papa sein Buch weg und sah ihn kritisch an.

 

“Was ist  los mit dir?” fragte er. “Erst schleichst du dich mitten in der Nacht ins Büro, um an den Computer zu kommen und dann versaust du uns auch noch Heiligabend mit deinen Bockanfällen! Was soll das?“

 

Adrian starrte auf seine Füße. Er wusste nicht, was er sagen sollte. Er hatte doch nichts Böses gewollt! Und schon gar nicht, dass jetzt alle sauer auf ihn waren. Aber wie sollte er das nur erklären? Bevor er es versuchen konnte, klingelte es und Papa stand auf, um die Tür zu öffnen. Das waren Oma und Opa. Ob die jetzt auch sauer auf ihn waren? Adrian machte auf dem Absatz kehrt und rannte zurück in sein Zimmer. Er stellte sich ans Fenster und starrte nach draußen, ohne wirklich etwas zu sehen. Leise drangen Stimmen aus dem Flur zu ihm herauf, aber nach einer Weile kehrte Ruhe ein. Dann öffnete sich plötzlich die Tür seines Zimmers.

 

“Hallo, Adrian”, sagte Opa sanft. Adrian drehte sich um und sah Opa fragend an. Der streckte die Arme nach ihm aus und im nächsten Moment war Adrian ganz eng an ihn gekuschelt. Opa setzte sich aufs Bett und lud Adrian ein, sich dicht neben ihn zu setzen.

 

“Jetzt erzähl doch mal, mein Junge. Was ist denn passiert? Dein Papa ist ja ganz schön wütend.” Das war keine Anklage, sondern nur eine Feststellung. Adrian holte tief Luft.

 

“Ich wollte meine Freunde überraschen. Wir spielen immer dieses Computerspiel zusammen. Es heißt Minecraft. Ich habe Items für sie gesammelt und ich wollte die Items in ihren Häusern verstecken. Und wenn sie dann das nächste Mal gespielt hätten, dann hätten sie diese ganzen coolen Items in ihren Häusern gefunden und sich riesig gefreut! Ich wollte ihnen ein richtig tolles Minecraft-Weihnachten schenken. Aber es ging nicht. Mama hat mich erwischt, bevor ich irgendwas verstecken konnte.” Adrian studierte seine Hände. “Sie hat mir noch nicht mal zugehört! Sie hat mich nichts erklären lassen.” Tränen kullerten seine Wangen herunter. Das war es, was am meisten wehtat. Opa drückte Adrian an sich. Er sagte nichts, sondern wartete, bis Adrian mit Weinen fertig war.

 

“Vielleicht hättest du deiner Mama vorher sagen sollen, was du vorhast”, meinte Opa, aber Adrian schüttelte den Kopf.

 

“Sie hätte es nie erlaubt. Ich bin ihr doch total egal. Ihr geht es immer nur um ihre Regeln.“

 

Opa wiegte nachdenklich den Kopf hin und her. Dann stand er auf.

 

„Ich werde mal sehen, was ich tun kann, ja?“ sagte er leise und strich Adrian durch die Haare, bevor er wieder nach unten ging.

 

Es dauerte eine Weile, bis er zurück kam und diesmal waren Mama und Papa bei ihm. Mama und Opa setzten sich rechts und links von Adrian aufs Bett, während Papa sich ans Fenster stellte. Adrian sah von einem zum anderen. Ihm war etwas mulmig zumute. Was passierte jetzt?

 

Zum ersten Mal seit langer Zeit sah Mama ihn wirklich an, und zwar nicht nur um zu sehen, ob er Dreck im Gesicht hatte oder seine Hose zerrissen war.

 

“Ist das wahr, Adrian?“  fragte sie leise. „Du wolltest eine Weihnachtsüberraschung für deine Freunde in Minecraft vorbereiten?“

 

Adrian nickte.

 

“Aber warum hast du mir das denn nicht gesagt?”

 

Adrian zögerte. Er spürte, wie Opa leicht seinen Arm drückte und starrte wieder auf seine Hände.

 

“Du hast mir nicht zugehört”, flüsterte er. “Du hast mich gar nicht zu Wort kommen lassen, so wie meistens.” Er hörte wie sie Luft holte und wusste, dass sie ihm widersprechen würde. Auch Papa räusperte sich kräftig. Aber sie sagten beide nichts. Stattdessen legte Mama die Arme um ihn und murmelte, „Es tut mir leid.“

 

Im ersten Moment begriff Adrian gar nicht, was hier gerade passierte. Seine Mutter entschuldigte sich bei ihm? Sonst musste er sich doch immer entschuldigen! Sein Herz fing an, schneller zu schlagen.

 

„Wirklich?“ fragte er ungläubig und sah sie mit großen Augen an. Sie lächelte und nickte und er konnte in ihren Augen sehen, dass sie es wirklich ernst meinte. Erleichtert drückte er sich an sie.

 

“Ich glaube nicht, dass deine Freunde heute Minecraft spielen. Was meinst du, wollen wir beide sehen, ob wir die Items noch versteckt kriegen, so wie du geplant hast?” fragte Papa. Adrian sah ihn überrascht an. Dann sprang er mit leuchtenden Augen auf.

 

“Oh Papa, echt? Das wäre das schönste Geschenk, das du mir machen könntest!“ rief er. Alle lachten, auch wenn Mama und Papa etwas ungläubig die Köpfe schüttelten. Adrian war nicht mehr zu halten. Voller Begeisterung stürmte er die Treppen hinunter. Bis Papa im Büro angekommen war, hatte er das Spiel schon gestartet.

 

Es war das erste Mal, dass Papa sich anschaute, was Adrian in seiner Minecraft-Welt alles gebaut hatte und er war ziemlich beeindruckt. Zusammen versteckten sie alle Geschenke in den Häusern von Adrians Freunden, während Adrian vor lauter Vorfreude unentwegt kicherte.

 

Für ihn war es das beste Weihnachten der Welt.

 

 

 

 

 

Ende

 

Kommentar schreiben

Kommentare: 1
  • #1

    Stephanie (Sonntag, 17 Dezember 2017 00:18)

    Wow, was für eine mega schöne und berührende Geschichte!
    Danke!