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Jabando - Im Kreisel der Zeit (3)

 

Er ging jedoch nicht in Richtung der Häuser, von wo die anderen Kinder kamen, sondern in Richtung Wald. Sie umrundeten ein kleines Tannenwäldchen. Als sie vom Hügel aus nicht mehr zu sehen waren, bog Stefan zwischen die Bäume ab. Es war etwas mühsam, durch das Dickicht am Waldrand zu kommen, aber dahinter war der Boden relativ frei und dick mit Tannennadeln bedeckt. Stefan führte sie bis zu einer Hütte, die er sich aus herumliegenden Ästen zwischen einigen Bäumen gebaut hatte. In dem Wäldchen war es düster und still und die Rufe der rodelnden Kinder auf dem nahen Hügel drangen wie aus weiter Ferne zu ihnen.

„Das hier ist mein Geheimversteck, das dürft ihr keinem verraten“, sagte Stefan stolz und duckte sich durch den Eingang. In der Hütte war es noch dunkler, aber Stefan zündete eine Kerze an. In dem schwachen Lichtschein sahen sie, dass er ein kleines Tischchen, zwei alte Gartenstühle und sogar ein winziges Schränkchen in die Hütte gebracht hatte. „Habe ich alles vom Sperrmüll“, grinste er und setzte sich in einen Gartenstuhl. „Leider habe ich im Moment nichts Essbares hier.“ Er seufzte, und nahm ein Schnitzmesser zur Hand. Er hob einen Stock auf und schnitzte daran herum. Tom sah ihn wieder scharf an. Dieser Junge kam ihm irgendwie bekannt vor.

"Fehlt nur noch ein bisschen Weihnachtsdeko, dann ist es hier richtig gemütlich“, sagte Jojo und nahm den zweiten Stuhl in Beschlag.

„Weihnachtsdeko? Soll ich mir jetzt hier so einen dummen Weihnachtsmann hinstellen, oder was?“, fragte Stefan in einem ziemlich aggressiven Tonfall. Jojo sah ihn verdutzt an. „Musst du ja nicht, wenn’s dir nicht gefällt.“

„Weihnachten ist doch nur dazu da, um Geschäfte zu machen“, verkündete Stefan.

„Also, ich finde Weihnachten total schön. Es gibt viel leckeres Essen und Geschenke und den Weihnachtsbaum mag ich auch richtig gern. Vor allem, wenn wir ihn alle zusammen schmücken, mit Mama. Und Mama und Papa haben mal richtig viel Zeit und spielen mit uns. Und dann fahren wir noch zu Oma und Opa und da gibt es auch leckeres Essen und wir treffen unsere Cousins und Cousinen.“ Je länger Jojo erzählte, desto finsterer wurde Stefans Gesicht. Finster und auch etwas traurig.

„Ist das bei dir nicht so?“, fragte Tom. Stefan schüttelte den Kopf. „Wir feiern kein Weihnachten.“

Jojo sah ihn entsetzt an und auch Tom schluckte. „Gar nicht? Überhaupts nichts? Das ist ja furchtbar!“, rief Jojo.

„Ach, wer braucht denn schon dicke Kerle in roten Klamotten. Ist doch sowieso alles nur ein Märchen“, wehrte Stefan ab.

„Also, das echte Weihnachten hat mit dem Weihnachtsmann gar nichts zu tun“, sagte Tom leise und bremste damit Jojo aus, der schon aufspringen wollte, um sein geliebtes Weihnachtsfest zu verteidigen. Er hatte schon im September angefangen, allen zu erzählen, wie sehr er sich auf Weihnachten freute.

Stefan sah Tom unsicher an. „Hat es nicht?“

„Nein, an Weihnachten wird eigentlich die Geburt von Jesus gefeiert. Weißt du, wer Jesus ist?“

„Das ist doch einer von diesen Religionstypen, oder?“

Tom holte tief Luft. „Ich glaube, da fangen wir mal ganz von vorn an.“ Die nächste Stunde verbrachten Tom und Jojo damit, Stefan die ganze Weihnachtsgeschichte aus der Bibel zu erzählen, angefangen bei Maria und Josef, die zur Volkszählung nach Bethlehem mussten und dort nur einen Stall als Schlafplatz gefunden hatten bis hin zu den Engeln, den Hirten und den heiligen drei Königen, die Jesus als den Retter der Menschheit verehrt hatten. Vorsichtshalber fügten sie dann noch einen Bericht hinzu, wie Jesus die Menschheit dann tatsächlich am Kreuz gerettet hatte.

Stefan hörte ihnen schweigend zu. Als sie endlich fertig waren, sagte er leise, „Das habe ich so alles gar nicht gewusst.“

„Das macht nichts, wir wussten bis vor kurzem auch nicht so wirklich was davon. Also ja, die Weihnachtsgeschichte schon irgendwie, aber wie das alles zusammenhängt, das lernen wir auch gerade erst. Ist ziemlich spannend. Die Bibel ist voll von echt unglaublichen Geschichten. Da solltest du mal drin lesen.“

„Ich glaube, wir haben gar keine“, meinte Stefan.

„Was macht ihr denn dann eigentlich, wenn alle anderen Weihnachten feiern?“ fragte Jojo nachdenklich.

„Nichts. Wir haben dann halt frei und – keine Ahnung. Gucken fern.“ Stefan zuckte mit den Schultern und sah auf den Boden. Tom und Jojo wussten darauf auch nichts zu sagen. Plötzlich stand Stefan auf und steckte den Kopf aus der Tür. „Oh Mist, es wird dunkel, ich muss nach Hause“, rief er und blies die Kerze aus. Gemeinsam gingen sie in den Ort. Als sie die ersten Häuser passiert hatten, knuffte Tom Jojo den Ellenbogen in die Seite. „Das ist unsere Stadt, guck doch“, flüsterte er. Tatsächlich, einige Häuser kamen ihnen sehr bekannt vor, aber andere schienen einfach zu fehlen.

„Die Autos!“, kicherte Jojo, als eine Ente an ihnen vorbei fuhr, dicht gefolgt von einem Käfer.

„Welches Jahr haben wir?“, fragte Tom. Es war ihm egal, wie seltsam Stefan ihn anstarrte, er musste es einfach wissen.

„1983“, sagte Stefan. Er bückte sich und hob den Schlitten auf die Schulter. Die Gehwege waren jetzt geräumt und größtenteils auch gestreut, so dass er den Schlitten nicht mehr durch den Schnee ziehen konnte. Sie kamen die Hauptstraße entlang und diesmal stieß Jojo Tom in die Seite. „Guck mal, da ist Herr Munkels Laden!“ Sie blieben vor dem Schaufenster des Gebrauchtwarenladens stehen und staunten. Das Schild über der Tür war zwar nicht neu, aber deutlich zu lesen und die Waren im Schaufenster waren ordentlich sortiert und mit Sternen und Tannenzweigen geschmückt.

„Komm, wir gehen rein!“, rief Jojo begeistert und die beiden anderen Jungen folgten ihm. Der Klang des Glöckchens über der Tür war den Brüdern absolut vertraut. Sofort tauchte Herr Munkel aus dem Raum hinter dem Tresen auf und lächelte die Jungen freundlich an.

„Einen schönen guten Tag, meine Herren, was kann ich für Sie tun?“, fragte er und zwinkerte ihnen zu. Im nächsten Moment verschwand seine Hand in der Hosentasche und kam mit drei Bonbons wieder zum Vorschein. Tom und Jojo lachten vergnügt und griffen sofort zu. Stefan sah etwas skeptisch aus, nahm dann aber das letzte Bonbon. Herr Munkel sah eigentlich genauso aus wie immer, nur dass er etwas weniger Lachfalten um die Augen und dafür etwas mehr Haare auf dem Kopf hatte. Und er konnte ohne Gehstock laufen.

„Ihr Laden ist so ordentlich“, konnte Tom sich nicht verkneifen, während sein Blick über die Regale schweifte. Die Uhr da kannte er doch! Oder war es ein Radio? Vielleicht beides. Herr Munkel lachte. „Oh, danke schön, das ist aber nett von dir.“

 

Der letzte Teil erwartet Euch am 4. Advent!

 

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